Direkt zum Inhalt springen

Druckversion (PDF)

 

 

Da gibt es eine liebe Bekannte von uns – nennen wir sie Elena –, in deren Leben so viel hineinge­packt worden ist, die so viel ausprobiert, verworfen und wieder neu aufgebaut hat, daß das bei den meisten Menschen für mehrere „normale“ Leben reichen würde. Seit vielen Jahren hat sie nun ihre Berufung gefunden: Als „der gute Geist“ in einem Dorf im fernen Süd-Asien, als „weiße Frau“, die allen Bewohnern, die Ratschläge, Aufmunterung, Gesellschaft, Verständnis und Unter­stützung jeglicher Art brauchen, Mutter, Freundin, Lehrerin und vieles mehr ist.

Vor kurzem hat Elena mit einem Rückblick auf ihr Leben eine kleine Betrachtung niedergeschrie­ben. Sie spricht für sich, eine Erklärung ist überflüssig.

 

 

 

Der See – die Liebe Gottes

 

Lina See.jpgAls ich so ungefähr 35 Jahre alt und sehr unglücklich verheiratet war, da habe ich mir gewünscht zu ster­ben. Aber das Leben selber beenden, das wollte ich nicht. Dann habe ich mir gesagt: „Also richtig alt wer­den, das möchte ich nicht. Spätestens mit 60 will ich sterben.“

Das Leben ging weiter, und ich hatte ganz vergessen, dass ich mit 60 sterben wollte. Nun, ich wurde 60. Ge­storben bin ich nicht, aber ich wurde sehr krank, aber so komisch krank, dass kein Arzt herausfinden konnte, was ich nun wirklich hatte.

Aber ich war total schwach und hatte keine Lebensenergie mehr. Da hatte ich einen Traum: Ich sah einen See, und darin lag etwas ganz Vertrocknetes, die Farbe von dem Ding war gelb. Und irgend­wie wusste ich:

Das vertrocknete Ding war ich.

Am Tag darauf kam noch einmal dieser Traum. Der See war da und das gelbe Ding auch. Aber es war nicht mehr ausgetrocknet, sondern vollgesaugt vom Wasser. Es war ein Schwamm, ein Natur­schwamm. Und wiederum wusste ich: Der Schwamm, das bin ich. Und der See, das ist die Liebe Gottes. Ich bin also ganz umgeben und durchdrungen von der Liebe Gottes. Das hat mich unsagbar getröstet.

Ich bin nicht gestorben, sondern wurde wieder gesund. Und ich sagte zu mir: „Alle Jahre, die nach dem 60. noch kommen, sind Zugabe zu meinem Leben.“

Inzwischen sind 17 Jahre vergangen, und es ist wirklich so, dass ich nie vorher so glücklich war, wie in der Zeit der Zugabe.

Jemand hat mir einen Teller geschenkt, in den Wasser und eine Lotosblume gemalt sind. Jemand anderes hat mir eine künstliche Lotosblume gegeben. Von irgendwem bekam ich einen kleinen Na­turschwamm. Ich habe den Teller mit der Lotosblume und dem Schwamm in den Bücherschrank gestellt. Eine Glasmurmel habe ich noch dazugetan. Immer, wenn ich das sehe, wird mir bewußt, daß ich in der Zugabe des Lebens lebe.

 

Zugabe – o ja – Dankeschön!“

 

 

*

 

 

Und das paßt auf eine wunderbare Weise zu Elena: In „Rückkehr von morgen“ beschreibt George G. Ritchie auf eindrucksvolle Weise sein nachtodliches Erleben. Aber das Buch bietet noch weitaus mehr als die Schilderung seines jenseitigen Aufenthalts. Als amerikanischer Soldat kam er 1945 nach Frankreich und erlebte dort die Greuel des Krieges. In ihm entstand der Wunsch zu sterben, um dadurch dem Leid und Elend zu entfliehen. Doch dann wurde er zu einem Schwer­verletzten geführt, der ihn eine andere Sichtweise lehrte. Ritchie schreibt in seinem Buch:

 

 

 

An jenem Nachmittag auf der Straße von Rethel wußte ich, daß, wenn ich die Nähe Christi zu fühlen wünschte – und ich wünschte dies mehr als alles andere –, dann mußte ich sie in den Men­schen finden, die er an jedem Tag vor mich stellte.

Wir hatten das Gutshofgelände erreicht, als diese Gedanken durch meinen Kopf wirbelten. Wir gin­gen von hinten hinein; dort war der Baumstumpf, auf dem ich gesessen hatte vor nur etwas mehr als zwei Wochen, und ich hatte dort gebetet, daß mir zu sterben erlaubt würde. Und plötzlich wuß­te ich etwas anderes, an diesem Tage neuer Erkenntnisse.

Das Gebet war beantwortet worden.

Auf eine Weise, wie ich es niemals gedacht hatte, war ich in der Tat gestorben. Zum ersten Mal nach vielen Monaten hatte ich mein Selbstmitleid, meine Selbstbeschuldigung beiseite gelegt – alle Gedanken, die auf irgendeine Weise um mich kreisten –, um mich für jemand anders ganz einzu­setzen. Jacks Verletzung und seine Heilung waren einzig und allein während der letzten beiden Wo­chen in meinem Sinn gewesen; vor lauter Sorge um ihn hatte ich mich selbst aus dem Auge verlo­ren.

Und indem ich mich selbst verlor, hatte ich Christus entdeckt. Es war seltsam, dachte ich: Ich hatte auch in Texas zu sterben, um ihn zu sehen. Ich fragte mich, ob wir immer zu sterben hatten, zumin­dest irgendein widerspenstiger Teil von uns, bevor wir mehr von ihm erkennen konnten.

Der erste Schritt, so erkannte ich, bedeutete, mit dem Versuch aufzuhören, jene außerweltliche Version von Jesus wieder einfangen zu wollen und ihn statt dessen in den Gesichtern über dem Eß­tisch zu suchen.

Das war nicht leicht für einen jungen Soldaten, der sein ganzes Leben in einer kleinen Stadt im Sü­den verbracht hatte. Römisch-Katholische, Juden, Neger – ich war in dem Verständnis aufgewach­sen, daß diese Menschen nicht nur anders waren als ich, sondern auch nicht so gut wie ich. Und darum hatte Jesus mich in seiner Gnade in die 123. gesteckt.

Er ließ mich mit Jack beginnen, denn Jack war leicht zu nehmen; man konnte Christus in Jack er­kennen. Aber das war lange, bevor ich Jesus in dem Juden aus New York, dem Italiener aus Chica­go, in dem Schwarzen von Trenton sah.