Einblicke: Eine unbekannte Realität
Wer wissen will, ob es nach dem leiblichen Tod weitergeht, der findet mehr als genug Literatur zu diesem Thema; wobei immer berücksichtigt werden sollte, daß auch auf diesem Gebiet die Gabe der Unterscheidung gefragt ist.
Wie es weitergeht, hängt von vielen Umständen ab. In allererster Linie bestimmt die Beschaffenheit der Seele ihren künftigen Aufenthaltsort. Jeder Mensch, sofern er an ein Jenseits glaubt, wünscht sich, daß lichte, schöne und weite Bereiche seine neue Heimat werden. Davon berichten auch die meisten Schilderungen. Doch es gibt auch andere Sphären. Auf sie hinzuweisen, dient nicht dazu, Unsicherheit oder Ängste zu fördern; aber es kann nützlich und wertvoll sein, darum zu wissen.
Der folgende Buchauszug – der Vorspann aus „Bin Ich es, den du liebst? – Das Abenteuer kann beginnen‟ – befaßt sich damit.
Komm mit, sagte das Licht.
Es nahm mich in seinen Strahlenmantel auf. Wir wurden, so hatte ich den Eindruck, eins. Es war das eindrucksvollste und unbeschreiblichste Erlebnis, das mir je widerfahren war. Ich blieb, wer ich war, in meiner ganzen Individualität, und wurde doch gleichzeitig Teil einer Machtfülle, in der ich mich in Nichts aufgelöst hätte, wäre sie nicht um meinetwillen auf einen Bruchteil ihrer Größe zurückgenommen worden.
Dir wird nichts geschehen. Angst und Schrecken können sich in dir nur breitmachen, wenn sie auf ihresgleichen treffen, wenn sie gewissermaßen ein Echo in dir finden. Dies wird aber jetzt nicht möglich sein, weil die Geborgenheit, in die ich dich aufgenommen habe, die Sicherheit in Gott ist. Das wird nichts daran ändern, daß die Eindrücke, die du wahrnimmst, dich erschüttern werden. Doch du wirst stark genug sein, sie zu ertragen. Ja, sie werden dich dazu bewegen, für diese Armen, die deine Geschwister sind, etwas tun zu wollen.
„Was könnte ich tun?“ fragte ich.
Was du immer und überall tun kannst: beten für diejenigen, die deiner Liebe dringend bedürfen. Doch nun komm.
Von einem Moment auf den anderen befanden wir uns in einer Gegend, die mit ihren Trümmerhaufen und Schutthalden, ihrer Kälte und Grabesstille an Traurigkeit kaum zu überbieten war. Ein unwirkliches, fahles Licht lag auf der toten Landschaft. Nein, sie war nicht ganz tot. Etwas bewegte sich im Schatten einer Mauer, lief dann geduckt über eine freie Fläche, um sich schließlich mit einem Schrei, der mir durch Mark und Bein ging, auf ein anderes Etwas zu stürzen. Da erkannte ich, daß es sich um zwei Männer handelte, die miteinander rangen.
Es geht um Drogen und um Alkohol.
Als der Angreifer mit seinem Messer einen tödlichen Stich ansetzen konnte, war der Kampf zu Ende. Er schnappte sich seine Beute und entfernte sich, gräßlich lachend.
Sei aufmerksam und schau. Du wirst es später verstehen.
Von dem Toten löste sich eine Gestalt, die aussah wie sein Doppelgänger. Sie rannte dem anderen hinterher, erreichte ihn und schlug ihn. Der jedoch bemerkte davon nichts. Auch die Flüche, die gegen ihn ausgestoßen wurden, nahm er nicht wahr. Er hatte sich inzwischen eine Ecke ausgesucht und war dabei zu untersuchen, was genau er erbeutet hatte. Vor ihm stand der Getötete, schlug mit beiden Händen auf ihn ein, griff nach seinen Haaren, seiner Kleidung und versuchte ihn hochzuziehen. Nichts, seine Hände griffen ins Leere. Das stachelte ihn nur noch mehr an. Wie besessen trat er nach dem anderen, nahm große Steine auf und bewarf ihn damit. Es gelang ihm weder, seinen Mörder zu verletzen noch seinen eigenen, grenzenlosen Haß loszuwerden. Schließlich blieb er stöhnend und ermattet liegen. Seit einiger Zeit schon beobachteten ihn zwei Männer, deren Anblick mich erschreckte. Gewalt ging von ihnen aus, die greifbar war. Sie näherten sich ihm, stellten ihn grob auf die Füße, nahmen ihn in ihre Mitte und zogen und schleiften ihn fort. Seinen schwachen Protesten begegneten sie mit Hähme: „Zier’ dich nicht so. Du hast es doch so gewollt. Du gehörst hierher.“
Ich schwieg noch, als sie schon lange außer Sichtweite waren.
„Konntest du nichts tun?“ fragte ich schließlich.
Ich darf und kann es nicht. Nicht, weil ich diesen, meinen Bruder nicht liebe, sondern weil das Gesetz des freien Willens dagegensteht. Wenn du dieses Gesetz, das deine Freiheit gewährleistet, einmal voll erfaßt hast, wenn du es wieder bewußt in dir trägst, dann wirst du mich besser verstehen. Dann wirst du nicht anders handeln, wenn du später einmal an meiner Stelle oder in einer vergleichbaren Situation bist.
„Hat der Getötete keinen Schutzengel, keinen Fürsprecher oder irgendeinen sonstigen Helfer?“
Doch. Lenke deinen Blick in die Richtung, in die die drei gegangen sind. Siehst du etwas?
Ich sah einen winzigen Lichtpunkt, doch als ich genauer hinschaute, erkannte ich, daß es nicht nur einer, sondern unzählig viele waren. Sie hielten sich am Rand, wie im Hintergrund, auf.
Warten wir damit noch etwas. Laß uns schauen, wie es mit den dreien weitergeht.
Im nächsten Augenblick befanden wir uns inmitten einer Gruppe von gröhlenden Männern und Frauen in armseliger Kleidung, die die drei Eintretenden mehr anschrien als begrüßten. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ein Schwall von Rücksichtslosigkeit und Erbarmungslosigkeit gegen mich anbrandete. Er konnte mir, das heißt uns, natürlich nichts anhaben; er konnte uns noch nicht einmal anrühren. Er brach sich schon an den äußersten Strahlen und wurde auf die Verursacher zurückgeworfen. Wir wechselten innerhalb des Raumes unseren Platz und standen jetzt auf einer Art Podest. Mein Licht bewegte sich und damit auch mich mit einer für mich traumhaften Souveränität in diesem Chaos.
Was dir unverständlich, beinahe wie ein Wunder vorkommt, ist doch nichts anderes als die Praxis eines göttlichen Gesetzes, in dem ich mich – mit dir – bewege. Es gibt keine größere Kraft als die der selbstlosen Liebe. Ihr Energiepotential oder ihre Schwingung, wenn du das besser verstehst, ist göttlich und damit nicht zu übertreffen. Alles, was nicht dieser reinsten Form der Liebe entspricht, ist gewissermaßen „unterhalb“ angesiedelt, das heißt, es hat nicht diese hohe Schwingung. Es geht bis hinunter in die tiefsten Abgründe stofflicher als auch feinstofflicher Art und auch bis in die Hölle der Empfindungen in Menschen und Seelen, bis dorthin, wo es nur noch Haß und Zerstörung gibt. Auch dort ist Leben, weil es nichts anderes als Leben gibt; doch dort stellt es sich in seiner geringsten Form und damit in seiner niedrigsten Schwingung dar.
Eine höhere Schwingung kann jederzeit eine niedrigere durchdringen, ohne auf deren Niveau absinken zu müssen, während eine niedere niemals in eine höhere eindringen kann. So können sich die Himmel zur Erde und noch tiefer neigen, aber die tiefen Bereiche können nicht in die Himmel gelangen, selbst nicht in die davor gelagerten, lichten Sphären.
„Dann hätte keiner von denen da“, ich wies auf das Gewimmel und Getümmel vor und unter uns, „je eine Möglichkeit, aus seinem Elend herauszufinden?“
„ ... denen da“ sind deine und meine Brüder und Schwestern. (Es folgte eine kurze Pause, die für mich bestimmt war.) Doch, sie haben die Möglichkeit: Wenn sie beginnen, nach Hilfe zu rufen oder danach Ausschau zu halten. Doch schau ...
Man hatte den Neuankömmling inzwischen auf den Boden geworfen; gemeinsam fielen die anderen über ihn her.
„Was macht ihr?“ schrie der am Boden Liegende.
„Das gleiche, was du später auch machen wirst, denn von irgend etwas mußt du ja leben“, brüllten die anderen zurück. Dann stürzten sie sich auf ihn, gleichzeitig schlugen sie aufeinander ein, stießen und zogen sich gegenseitig weg. Schließlich begruben sie ihn unter sich, um ihm – Vampiren ähnlich – die Reste seiner Energie, die er noch in sich hatte, auszusaugen. Mein Licht klärte mich unterdessen auf.
Viel ist es nicht, was sie ihm nehmen können; das meiste hat er zu Lebzeiten verbraucht. Neue, frische Energien sind ihm so gut wie nicht zugeflossen. In Ermangelung dessen hat er sich seine Energien, so gut es ihm gelang, von seinen Mitmenschen geholt. Seine Methoden waren zuerst so subtil, daß er ihren Wirkungsmechanismus selber kaum begriff. Er sah jedoch das Ergebnis, das reichte ihm. Als seine Methoden grober und direkter wurden, erkannte er zwar ihren ungesetzmäßigen Charakter, aber es war zu spät, eine Änderung herbeizuführen.
Man hatte ihn inzwischen wieder auf die Beine gestellt. Sein ohnehin schon lichtloses Wesen schien geschrumpft und noch lebloser geworden zu sein. Einer hatte sich vor ihm aufgebaut, zwei andere hielten in fest, damit er nicht umfiel.
„So, mein Freund“ (‘Freund’ klang wie Hohn, so war es wohl auch gemeint.), sagte er, „du kannst uns dankbar sein, denn wir haben dir gezeigt, wie du hier zwar nicht gut leben, aber immerhin überleben kannst. Es steht dir frei ...“, ein Riesengejohle begleitete diese Formulierung, so daß sich der Sprecher unterbrach und die schlaffe Gestalt vor ihm fragte:
„Weißt du, warum die geschrien haben? Weil ich gesagt habe ‘es steht dir frei’. Ich korrigiere mich: Nichts steht dir frei, du hast gar keine Wahl. Dir Energie zu holen, woher immer du sie bekommst – von den Lebenden oder Toten –, das ist deine Zukunft. Und nun geh’. Wenn du uns wieder besuchen willst, weil es dir draußen zu einsam ist, dann vergiß nicht, uns was mitzubringen!“ Ein irres Gelächter folgte seinen Worten, während man den kaum noch lebenden Toten zur Tür hinausstieß.
Mir war kalt, zumindest hatte ich das Gefühl. Mein Licht mußte dies gespürt haben. Ein besonders leuchtender Strahl durchdrang mich. Die Kälte schwand, doch die Bestürzung blieb.
Im Grunde genommen geht es immer nur um Energie. Du kannst die ganze, seit Äonen andauernde Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis reduzieren auf diese eine Tatsache: Kampf um Energie. Göttliche Energie steht jedem Kind überreichlich zur Verfügung. Sie fließt ihm in dem Maße zu, wie es sich entsprechend dem Gesetz der Liebe verhält. So sieht es das Gesetz vor. Gegensätzliches Handeln beschneidet den Energiefluß, das heißt, der gegensätzlich Handelnde beschneidet sich selbst. Die Finsternis, abgestuft in die verschiedenen Graustufen bis hin zum Schwarz, dem Reich der Dämonen, will beides:
Sie will ihr eigenes Gesetz leben, und sie will dennoch Energie.
An diese versucht sie mit allen Mitteln und mit aller Macht heranzukommen, um nicht nur auf die Minimalenergie des unauslöschlichen Gottesfunkens, der auch im tiefstgefallenen Kind noch brennt, angewiesen zu sein. Auch jene dort – mein Licht wies mit einem Strahl auf die mitleiderregenden Gestalten – verhalten sich so. Du hast es erlebt. Der Sprecher hat recht. Keiner von ihnen ist frei, denn ein Teil ihrer Energien wird auch ihnen genommen, von anderen, die stärker und raffinierter sind – und denen sie verpflichtet sind. So wird jeder, der gegen das Gebot der Liebe verstößt, mehr oder weniger zu einem Energielieferanten für die Kräfte, die gewissermaßen hinter ihm stehen. Sie kennen seine Schwächen, sie nutzen sie aus und versuchen auf diese Weise, den schwankenden Menschen an seiner geistigen Fortentwicklung zu hindern.
Und der Mensch, der nicht um die überlegene Gegenkraft des Christus, die er i n s i c h trägt, weiß, ist diesen Kräften oftmals hilf- und schutzlos ausgeliefert.
Wir wandten uns ab und verließen die Gruppe. Nicht weit entfernt sahen wir die gekrümmte Gestalt des hinausgestoßenen Mannes durch das Halbdunkel torkeln. Ich wurde auf ein Licht hingewiesen, das mir zuvor schon als kleiner Punkt in der Reihe weiterer Punkte aufgefallen war. Es hatte sich dem Mann genähert, blieb aber ein Stück hinter ihm, so, als ob es sich in Bereitschaft hielte, würde man es brauchen. Aus dem Lichtpunkt war eine strahlende Gestalt geworden, meinem Lichte ähnlich.
Das Gesetz des freien Willens, das viele eurer Theologen und gläubigen Christen ablehnen, weil sie es nicht verstehen, verliert nur dort seine Gültigkeit, wo versucht wird, es im Mißbrauch gegen die Schöpfung einzusetzen. Ansonsten gewährt es den Kindern Gottes eine grenzenlose Freiheit.
„Die jedoch zwei Seiten hat, wenn ich dich früher richtig verstanden habe.“
Ja, die eine Seite ist das Erleben dieser Freiheit, die kein Kind jemals mehr bewußt aufgeben wird, wenn es sie einmal in sich erschlossen hat. Die andere Seite ist die Konsequenz dieses Prinzips. Die Willensfreiheit kann auch eingesetzt werden, um Ziele zu erreichen, die nicht dem Liebegebot entsprechen. Gott hindert kein Kind daran, im Eigenwillen zu handeln. Wenn es die Verfolgung eigener Interessen höher einstuft als die Befolgung göttlicher Gesetze, so ist es in seiner Entscheidung frei. Aber – es wird mit den Folgen konfrontiert.
In manchen bis vielen Fällen, das ist relativ, wacht das Kind auf und korrigiert daraufhin seine eingeschlagene Richtung. Tut es das nicht, schränkt sich sein Bewußtsein ein. Der Kontakt zu seinem Schutzgeist bleibt zwar erhalten, aber das Kind ist für Impulse kaum noch aufnahmefähig. Es w i l l nicht, also darf es nicht-wollen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es seine Ab- oder Auflehnung in Worte kleidet. Taten sprechen die gleiche Sprache. All das ändert nichts an der Liebe seines Lichtes zu ihm, doch das Licht wird und muß seine Entscheidung akzeptieren. Deshalb bleibt es im Hintergrund.
„Welche Chance hat mein Bruder? Wie kommt er da ‘raus? Und“, fügte ich nach kurzer Überlegung noch hinzu, „wo ist Gott? Weit weg?“
Sein Licht wartet auf den ersten Hilferuf seiner Seele, und sei er noch so klein, so daß du ihn gar nicht wahrnehmen würdest. Der erste Aufschrei, das erste Warum?, das erste „Hilf mir, wer immer du bist“, kann die Wende einleiten. Und diese Wende kann rasch erfolgen, der Aufstieg aus dieser dunklen, unwirklichen Welt kann sofort beginnen, wenn unser Bruder dort nach Änderung, nach Erlösung aus seiner Pein ruft. Dann legt sich auch bei ihm der Teil des Lichtmantels als Schutz um ihn, der ihn unbeschadet die nächsten Stufen nach oben führt. Kein noch so großer Verführer, kein noch so abschreckender Finsterling kann ihn an seinem Weg nach oben hindern, wenn sein Wunsch und sein Bemühen ehrlich sind.
Das ist das Versprechen Gottes, der schon ein Bemühen beantwortet mit einer Liebe, die nichts erwartet und nichts verlangt.
Mein Licht machte mich aufmerksam auf eigenartige Nebelformen, die sich von hinten dem noch immer schwankenden Mann näherten, ihn schließlich einhüllten und – wie es schien – sogar in ihn eindrangen. Sie versperrten ihm die Sicht, bis er stehenblieb. Dann öffnete sich die Nebelwand an einer für ihn bestimmten Stelle. Dorthin sollte er gehen – und er ging. Auf diese Weise bugsierte man ihn in die Richtung, die man für ihn vorgesehen hatte.
Dies bedarf wohl keiner Erklärung. Ein Licht, und sei es noch so klein, hätte die Nebelwand durchdrungen. Wenn er darum gebeten oder danach gerufen hätte.
Du hast mich gefragt: „Wo ist Gott? Weit weg?“ Weit weg ist menschlicher Ausdruck. Schau deinem Bruder ins Herz, dann hast du die Antwort.
Ich schaute, aber ich sah nichts. „Laß uns näher herangehen“, bat ich.
Da konnte ich sie erkennen: eine Flamme, die zwar klein, aber stetig brannte. Man mußte schon genau hinsehen, um sie nicht zu übersehen. Doch sie war da, eindeutig.
Dies ist Gottes Liebekraft, die auch aus ihm einmal wieder ein mächtiges Lichtwesen machen wird, so wie wir aus den Himmeln es schon sind. Diese kleine Flamme, die nichts und niemand im ganzen Universum zum Verlöschen bringen kann, noch nicht einmal ihr Träger selbst, ist die Garantie dafür, daß keiner verlorengeht – was immer auch eure Theologen an gegenteiligen Behauptungen und Lehren aufstellen. Dieses Licht ist Gott selbst in jeder Seele und in jedem Menschen. Wie groß es wird, wie stark es leuchtet, das entscheidet jeder selbst.
Ich betrachtete eine Weile die Gestalt, bis mein Licht sagte:
Ich werde dir noch etwas anderes zeigen. Doch zuvor möchte ich dich fragen, ob du für deinen Bruder beten möchtest?
Das war keine Frage. Ich sammelte mich für einen Moment und stellte alles zurück, was mich an Eindrücken belastet hatte. Dann schloß ich die Augen und begab mich, so gut ich dies konnte, in die Stille meines Herzens, um mich dort an meinen himmlischen Vater zu wenden. Ihm schickte ich für meinen Bruder vor mir – und für all jene, die ich eben gesehen und erlebt hatte – aus meinem Inneren meine Liebegedanken, meine Empfindungen des Trostes und des Mutes und meine Bitte, Er möge in Seiner Barmherzigkeit meine Geschwister segnen.
Und jetzt sieh, was geschieht.
Ich traute meinen Augen nicht. Ich war zum Mittelpunkt einer wellenförmigen Bewegung geworden, die sich mehr und mehr ausbreitete. „Ähnlich, als wenn man einen Stein ins Wasser wirft“, dachte ich. Immer weitere Kreise zog das Geschehen; ich konnte es bis an den Horizont verfolgen. Die Kreise waren von einem sonnengleichen Licht, und berührten – einer nach dem anderen – die Gestalt vor mir. Die Nebel begannen sich aufzulösen, die Gestalt blieb stehen und richtete sich auf; neue Kraft belebte sie. Das eben noch energiearme Wesen hatte wieder etwas Farbe bekommen. Es zögerte einen Augenblick, änderte dann seine Richtung und ging auf ein halb geöffnetes Tor zu, hinter dem es deutlich heller schimmerte als in der Gegend, aus der es kam. Doch auch dort, zeigte mir ein Blick, war das Grau nicht mehr ganz so stumpf. Fast hatte ich den Eindruck, als wären hier und da sogar ein paar Lichter angegangen. So ist es. Von Ferne hörte ich ein schwer zu identifizierendes, bösartiges Geheule, das sich aber nach und nach verlor.
Dein Gebet hat dazu beigetragen, daß wir ein kleines Scharmützel gewonnen haben. Noch nicht die Schlacht, noch lange nicht den Kampf. Doch ein Kampf besteht aus vielen Schlachten, und eine Schlacht aus unzähligen Scharmützeln.
Die Gestalt hatte sich inzwischen schon ein ganzes Stück entfernt. Das Licht hinter ihr war ihr deutlich nähergekommen. Es drehte sich zu uns herum, und ein Liebestrahl kam zu uns herüber, in den – deutlich spürbar – ein Danke hineingelegt worden war.
„Danke auch dir, daß du auf die Idee gekommen bist“, sagte ich zu meinem Licht.
Etwas möchte ich dir noch zeigen – wenn du noch magst.
„In dieser Einhüllung, die für mich die schönste Geborgenheit ist, die ich je erlebt habe – es gibt noch eine größere, doch die hast du nicht mehr in Erinnerung – gibt es nichts, was ich nicht mir dir gemeinsam tun möchte.“
Wo wir nun hingehen, wirst du meine Einhüllung nicht brauchen.
Wir veränderten unseren „Standort“ (auch wenn dies nicht das richtige Wort ist), und ich wurde in eine Landschaft versetzt, die genau das Gegenteil der vorigen war: hell, warm, anmutig, voller Leben. Ich stand da und schaute und staunte und erfreute mich an der Vielfalt und Harmonie der Farben, der beschwingten Atmosphäre, der Heiterkeit und Frische, mit der alles gesegnet schien.
Nach einer Weile fragte ich: „Ist das der Himmel?“
Nein, dies sind noch nicht die Himmel. Sie sind unvorstellbar viel prächtiger. Doch es ist schon eine Welt, die auf dem Weg in die Vollkommenheit den Himmeln weitaus näher ist als diejenige, von der wir soeben kommen. Auch hier gibt es Neuankömmlinge, schau, dort drüben – ein Lichtstrahl wies auf eine Stelle am Waldrand – dort wird gerade jemand begrüßt. Wer es bis hierher geschafft hat, braucht zwar immer noch Lehrer und Führer, doch das Lernen geschieht auf dieser Stufe der Entwicklung freiwillig. Da bedarf es nicht mehr der immer und immer wieder gesetzten Impulse, bis sich jemand entschließt, seinen nächsten Schritt zu tun.
Ich beobachtete das Leben in seiner Friedfertigkeit und Ausgeglichenheit; es schien mir fast zu schön zu sein. Für einen Augenblick dachte ich ...
Ich kann deine Bedenken zerstreuen. Was ich dir gezeigt habe, sowohl eben als auch jetzt, i s t Realität. Man könnte es für ein Klischee halten, einen billigen Abklatsch, etwas für Kinder, denen man auf diese Weise Gut und Böse erklärt. Ich versichere dir, so ist es nicht. Die Bilder stimmen – nur: Die Wege, die sowohl in die zuerst erlebte, tiefe Astralwelt als auch in die vor dir liegenden Bereiche führen, sind andere als die, die man euch lehrt. Darin liegt letztlich der entscheidende Unterschied. Hier wurde der große Fehler gemacht.
Du gerätst nicht deshalb zwischen Trümmerhaufen oder in ein Feuer, weil du die falsche Religion hast. Und du kommst auch nicht deshalb in himmelsnahe Bereiche oder in die Himmel selbst, weil du der richtigen Religion angehörst. Du vermeidest Trümmer und Feuer, indem du liebst. Und du gewinnst die Himmel, indem du ebenfalls liebst. Liebst, n u r liebst.
Nun laß uns wieder gehen. Das, was du vor dir siehst, war auch als Ausgleich gedacht für das, was ich dir eben zugemutet habe, und was zu erleben dir trotz meines Schutzes sicher nicht leicht gefallen ist.
(aus „Bin ich es, den du liebst? – Das Abenteuer kann beginnen‟ von Hans Dienstknecht)